Ein extremistischer Mörder? – Wer/Was ist Balliet?

Balliet-Mörder
Der Mörder von Halle

Meinung: Dieser Artikel spiegelt die Meinung/Thesen des Autors wieder.

Stephan Balliet – wer ist dieser Mann? Was trieb ihn an? In welche Schublade lässt er sich stecken?

Ich habe das ganze, fast 36 Minuten lange, Video gesehen. Dabei wird mir wieder bewusst, Menschen sind irgendwie doch nicht die Krone der Schöpfung. Dieser Organismus ist furchtbar unvollkommen, gerade was die Datenverarbeitung im Hirn angeht. Da ich kein Fan von Spekulationen bin, halte ich mich größtenteils an das Video des Täters und versuche an ein paar zusätzliche Informationen zu kommen.

Balliets Vergangenheit

Der Mann wird 1992 geboren, ist also zum Tatzeitpunkt 27 Jahre alt. In der Umgebung von Eisleben, der Lutherstadt, wächst er auf. Im Netz existiert ein Bild, das ihn bei einem Schach-Wettbewerb, der Mansfeld-Olympiade 2004 zeigt. Dort verlor er die letzte Partie gegen ein Mädchen und wurde der Zweite.

“Ein spannendes Blitzschachduell musste in der AK U13 über die Vergabe der Goldmedaille entscheiden, denn F.B. [Abkürzung durch Redaktion](Hettstedt) und Stephan Balliet (Helbra) standen nach Ende der regulären Runden punkt- und wertungsgleich an der Spitze. Im Blitzschach – mit nur fünf Minuten Bedenkzeit für die gesamte Partie – hatte F. [Abkürzung durch Redaktion] die besseren Nerven und siegte.”

Quelle: http://www.hettschach.keepfree.de/Turn04/manoly/bericht.htm
Stephan Balliet bei Mansfeld-Olympiade 2004 // Bildquelle: http://www.hettschach.keepfree.de/Turn04/manoly/index.htm

Balliet soll in Halle ein Chemie-Studium nach zwei Semestern abgebrochen und zuletzt als Rundfunktechniker gearbeitet haben. Bis hier her glaube ich jemanden auszumachen, der grundsätzlich intelligent ist, dem aber wohl immer der letzte Biss fehlte, um schlussendlich erfolgreich in seinen Bemühungen zu sein. Anscheinend hat er aber nie gelernt, dass ein Mensch auch damit umgehen können muss, zu scheitern. Sein Selbstwertgefühl tendiert gegen Null. Im Video bezeichnet er sich selber als Loser und Niete. Schon frühzeitig wurde er offenbar zum Eigenbrötler, der sich aus der realen in seine Welt zurückzieht. In seiner neuen Realität will er jemand sein, der überlegen ist.

“Eigenbrötler” was sind das für Menschen?

Häufig sind es eher schlaue Menschen, die zu solch einem Verhalten neigen. Psychologen haben in einer Langzeitstudie 18- bis 24-Jährige untersucht. Diese Studie erschien im British Journal of Psychology.

Die Wissenschaftler kamen zu folgenden Ergebnissen:

  • Mit zunehmender Intelligenz werden entsprechenden Menschen Langzeit-Ziele wichtiger, denn sie tragen mehr zur ihrer Zufriedenheit bei. Soziale Kontakte werden eher als unnütze Ablenkung empfunden.
  • Mit steigender Intelligenz kann Mensch sich leichter an die digitale/moderne Welt anpassen. Auch dadurch werden reale Kontakte unbedeutender. Betreffende Personen sind weniger abhängig von sozialen Gruppen. Diese sind in der Regel aber für das “Sozial-Verbands-Wesen” Mensch bedeutend und prägend.

Grundsätzlich kann Zurückgezogenheit auch positiv auf Menschen wirken. Für viele geistig Schaffende ist dieser Zustand Quelle für Inspiration. Also nicht jeder Eigenbrötler wird zum Killer. Das braucht keine Erklärung. Problematisch kann es aber durchaus werden, wenn eine eigene, konstruierte und dadurch angenehmere Welt dazu verleitet, nicht mehr in die Realität zurückkehren zu wollen. Ich glaube, wenn ein Mensch zu lange in der beschriebenen Situation festhängt, wird er zu deren Gefangenen.

Die Distanz zur realen Welt wird automatisch und zwangsläufig immer größer – erscheint irgendwann unüberwindbar

An dieser Stelle setzt dann wohl die gefährliche Verwandlung ein. Halbwegs intelligent zu sein, heißt nicht zwangsläufig auch die innere Stärke zu besitzen, seinen Irrweg zu korrigieren. Ein Kartenhaus ist ein sehr fragiles Objekt, dass sich dem realen Leben eben nicht vollständig entziehen kann. Der Aufwand es aufrecht zu erhalten, verbraucht mindestens proportional zum Ausbau, immer mehr Anstrengungen. Im Grunde ist es wie mit klassischen Lügen. Sie wachsen um funktionstüchtig zu bleiben, bis zu dem Zeitpunkt, an dem es nicht mehr zu leisten ist, sie aufrecht zu erhalten.

Dann ist der letzte verzweifelte Versuch häufig ein finaler Akt, bei dem es um Alles oder Nichts geht. Am Ende bleiben die meisten Menschen halt doch soziale Wesen, die darauf angewiesen sind, bestätigt zu werden. Balliet scheint diese Bestätigung in eine Online-Community gesucht zu haben. In seinem Video entschuldigt er sich mehrfach bei seinen (evtl. auch nur vermeintlichen) Zuschauern für sein Versagen. Nicht klar wird, woher er die Anleitungen für seinen Waffenbau bekam. Es wirkt aber so, als wenn diese aus vermuteter Community stammen, denn mehrfach betont der Täter, das selbstgebaute Waffen nichts taugen und alle versagt hätten. Es scheint als möchte er sein “Versagen” durch diese Hinweise relativieren.

Quelle: Screenshot aus dem Videostream des Mörders Balliet

Balliet verliert Bezug zur Realität?

So viel bekannt ist, ist der Mörder Balliet kein Mitglied einer wirklich agierenden extremistischen Gruppe, keines politischen Vereins oder einer Partei. Die oben genannte These über seinen psychologischen Zustand passt dazu. Ich wehre mich aber dagegen diesen Menschen als dumm zu beschreiben, wie es an einigen Stellen geschieht. Wer sich mehrsprachig ausdrücken kann, fähig ist tödliche Waffen herzustellen, auch wenn diese nur bedingt funktionieren, wer fähig ist sich moderner Kommunikation zu bedienen und strategisch zu denken, ja entgegen anderen Behauptungen denke ich er war nicht unorganisiert, der kann nicht komplett dämlich sein. Ich will kurz erklären warum Balliet für mich organisiert ist.

Erstes hat er seine Bluttat dezidiert vorbereitet. Allein das Arsenal an selbstgebauten Waffen setzt strukturierte Handlungen voraus. Er hat sich bewusst ein Anschlagsziel gewählt. Es darf davon ausgegangen werden, dass er dieses beobachtet, die Fahrt dorthin und ein Angriffsszenario geplant hat. Er musste sich aufgrund seiner sozialen Abgeschiedenheit selber radikalisieren, sich also mit Informationen die sein Feindbild bestärkten versorgen. Ich gehe davon aus, dass er wie oben im Text “Verhaltensweisen von Eigenbrötlern” erwähnt, über längere Zeitraum “seinem Masterplan” gefolgt ist. Und er hat, wenn die Vermutung einer Online-Community richtig ist, wenigsten partiell für einen gewissen Zeitraum einen “Ort” gefunden, der als guter Ersatz für die reale Welt fungierte. Denkbar ist auch, dass er aber innerhalb dieses Raumes unter Druck geriet, evtl. auf dem Weg war, als Schwätzer verschrien zu sein. Ggf. wollte er nicht auch noch die “virtuelle Welt” verlieren und fühlte sich unter Handlungsdruck.

Quelle: Screenshot aus dem Videostream des Mörders Balliet

Ich vermute, Stephan Balliet ist durchaus begabt, in mehreren Bereichen. Die nicht zu 100 Prozent funktionierenden Waffen können kein Beweis für sein Unvermögen sein. Dazu müsste verglichen werden, was andere Personen mit ihm zur Verfügung stehenden Anleitungen und Materialien hätten umsetzen können. Sein Problem scheint eher – er ist halt nicht das Genie, das er sein wollte, ggf. vorgegeben hat zu sein.

Darüber hinaus hat er hat offensichtlich die Bezüge zur realen Welt verloren. Es wird behautet er war ein Zocker, im Sinne von Nutzer von Ego-Shootern. An dieser Stelle der Hinweis, ganz klar ist, gesunde Menschen werden durch Zocken nicht zu Killern. Diese dümmlichen Diskussionen will ich gar nicht führen. Doch in seiner Situation, als ein Mensch der emotional abstumpft, können entsprechende Spiele Teilstück im Gesamtkontext sein. Zu seinen eigenen Reaktionen im Video passt diese Vermutung. Denn der Mörder ist offensichtlich entsetzt und überrascht über verschlossene Türen, die sich nicht einfach aufschiessen oder sprengen lassen. So etwas kam in seinen digitalen Kämpfen scheinbar nicht vor. Dort ist es immer ganz einfach. Raufballern, ggf. Sprengsatz, rein und killen.

Quelle: Screenshot aus dem Videostream des Mörders Balliet

Balliet in der echten Welt eher unsicher

Scheitern – das bedeutet die reale Welt für den Killer. Um wem nun was auch immer zu beweisen, muss er aber genau dorthin. Im seinem Video wird deutlich, wie schnell seine für sich erdachte Rolle im Hier und Jetzt zusammenbricht. Schon nach dem ersten Fehlversuch die Tür zur jüdischen Einrichtung zu öffnen, ist er außer sich. Er flucht, schimpft und wirkt extrem verunsichert. Seine “Kampfmoral” ist nicht wirklich groß. Als er seinen selbstgebastelten Sprengsatz in einem Türspalt zur Detonation bringt, dieser ihm aber auch nicht weiter hilft einzudringen, wirkt es für mich so, als würde er komplett in einen “virtuellen Modus” schalten.

Quelle: Screenshot aus dem Videostream des Mörders Balliet

Zu diesem Zeitpunkt läuft sein erstes Opfer in Richtung seines Fahrzeugs. Ich bin mir nicht sicher, ob die Frau die Ernsthaftigkeit der Situation gar nicht erkannte, oder erst im letzten Moment und Sie dann in einem Zustand der Angst reagierte. Ihr Satz: “Muss das sein, wenn ich hier lang gehe.” wirkt seltsam, könnte aber eine Ersatzhandlung sein, wenn ihr die Gefahr in diesem Moment bewusst wurde. Es ist zu sehen, wie sie noch versucht ihren Schritt zu beschleunigen, nachdem sie Balliet passiert hat. Die Ärmste hatte zu diesem Zeitpunkt, so glaube ich, keine Chance mehr, selbst wenn sie nichts gesagt hätte, hätte das an ihrem Schicksal nichts geändert. In seinem “Shooter-Modus” ballert der Mörder ab jetzt auf alle die ihm gewahr werden oder versucht es. Nur dem häufigen Versagen seiner Waffen und seiner eigenen Verunsicherung ist es geschuldet, dass es nicht viel mehr Tote gab.

Quelle: Screenshot aus dem Videostream des Mörders Balliet

Ein dramatisches Unglück, auch für einen Hallenser Fußball Fan, der sich ein einem Dönerladen aufhielt. Der Täter wollte, im Video ganz deutlich zu erkennen, morden. Ihm war zu diesem Zeitpunkt schon lange egal, wen er umbringt. Nur tot mussten sie unbedingt sein. Auf beiden Opfer schoss er mehrfach um sicher zu gehen. Er beschwert sich auch mehrfach über sich selbst, weil er meint nicht gut genug töten zu können. Auch hier kommt mir wieder der Gedanke mit der schon erwähnten Online Community. Es macht den Anschein, als hätte Balliet dort vorab ein quantitativ beziffertes Ziel formuliert. Ansonsten machen die Entschuldigungen wieder keinen Sinn.

“Hauptsache bekannt – ein mal im Leben wer sein – egal wer”

Es hört sich nach einer banalen Erklärung an. Und es ist so unglaublich grausam, dass die beiden Opfer sterben mussten, wegen eines kaputten Egos. Doch deutet bis jetzt alles darauf hin, dass nur ein fehlerbehafteter Mensch, Stephan Balliet, ursächlich für dieses Drama ist. Mir erscheint Balliet als ein defektes Produkt seiner eigenen Schwäche.

Vor diesem Anschlag ein mit sich selbst zutiefst unzufriedener Mensch, der nicht die Stärke besitzt, die Gründe seines Scheiterns bei sich zu suchen. Jemanden hassen, als Mittel zum Zweck wurde sein Weg, um sich zu überhöhen und das auch noch zu rechtfertigen. Sein mickrig kleines “Ich” benötigte diese Tat, aus genannte Gründen. Warum er nun auf Juden kam, sollen andere ergründen. Ich glaube, in seinem Fall war das nicht entscheidend. Denn am Ende so zeigt sich, konnte jeder zum Objekt seiner Ego-Aufpolierung werden.

Leider und das ist nicht ganz abzusprechen, ging sein Plan wenigsten zum Teil auf. Bekannt ist er jetzt. Nicht heroisch und perfekt wie er sich gerne präsentiert hätte, doch auf jeden Fall bekannt. Er ist gewohnt als Verlierer dazustehen, so bezeichnet er sich auch im Video. Da wird sie für ihn einen Teilerfolg bedeuten – diese auch unrühmliche Bekanntheit.

Quelle: Screenshot aus dem Videostream des Mörders Balliet

Was Balliet wohl nicht ist

Ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster. Zwar hat er es geschafft eine extremistische Tat zu verüben, doch dieser Mensch ist aus sich heraus bedeutungslos für die Gesellschaft. Natürlich ist er es nicht für Opfer und Hinterbliebene.

Bedeutung darüber hinaus können ihm nur diejenigen geben, die ihn für eigenen Ziele instrumentalisieren. Übrigens, ich glaube nicht daran, dass dieser Typ ein “strammer Nationalsozialist” ist oder in diesen Kreisen wirklich Anerkennung findet. Ich kenne durch meine alte Arbeit genug Menschen, die sich an “gesellschaftlichen/politischen Außenlinien” bewegen. Mir fällt aber keiner ein, der diesen Typen als seinesgleichen bezeichnen würde. Auch z.B. unter “Nationalen Sozialisten”, wie sie sich oft selber bezeichnen, wäre es ein NO-GO auf harmlose, zumal unbeteiligte Passanten zu ballern. Damit erübrigt sich auch jede weitere Zuweisung von Schuld an Jene, die nicht ansatzweise radikale oder extremistische Positionen vertreten. Befürwortung kann Balliet nur von Menschen erfahren, die sind was er ist.

Was ist Balliet kurz zusammengefasst?

Ein Arschloch

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