Der Vorsitzende des Präsidialrates der libyschen Regierung in Tripolis, Fayez al-Sarraj, kündigte nach den neuesten Fortschritten im Dialog zwischen verschiedenen libyschen Interessenvertretern an, innerhalb weniger Wochen die Macht an eine neue vereinbarte Regierung zu übergeben. Die vorausgegangenen Bemühungen von Russen und Türken stabilisieren Libyen offenbar. Ein türkischer Beamter offenbart ein Abkommen, über das die genannten Staaten verhandeln, meldet Aljazeera am 17.09.2020.
Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu sagt am gestrigen Abend in einem Interview mit CNN TÜRK Haber, dass Beamte aus der Türkei und Russland bei den jüngsten Treffen in Ankara eine Einigung über einen Waffenstillstand für Libyen erreicht haben.
Wichtige Aussagen
“Ich verkünde allen meinen aufrichtigen Wunsch, meine Pflichten bis Ende Oktober zu übergeben.”
Fayez al-Sarraj, Vorsitzende des Präsidialrates der libyschen Regierung / Quelle: Aljazeera
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, sieht die aktuellen Ereignisse sehr positiv. Ein neuer UN-Gesandter für Libyen sei bald zu ernennen.
“Wir haben Anzeichen von Hoffnung und unsere Sonderbeauftragte arbeitet hart daran, eine nächste Runde des libyschen Dialogs abzuhalten.”
Antonio Guterres auf der Pressekonferenz anlässlich der Eröffnung der 75. Sitzung der Generalversammlung
Libyen Stand aktuell
Nach jahrelangen Kämpfen hat sich der Krieg in Libyen zu einem riesigen, schwer überschaubaren Unternehmen mit vielen lokalen, regionalen und internationalen Beteiligten entwickelt. Denn Teile Libyens sind von mehreren bewaffneten Milizen und Gruppen kontrolliert. Noch vor einiger Zeit sind die Hauptkonflikte zwischen Ost- und Westlibyen zu finden.
Fayez al-Sarraj der Ministerpräsident Libyens / Region Tripolis
Der oben genannte Fayez al-Sarraj ist derzeitiger Ministerpräsident. Er vertritt die libysche Übergangsregierung “Government of National Accord” (GNA). Doch ist er nur theoretisch das Staatsoberhaupt Libyens. Als sein bisher größter Erfolg gilt die Befreiung von Sirte im August 2016 durch eigene Militärverbände. Dort hatte der Islamische Staat ab 2015 ein Terrorregime errichtet. Das vom IS ausgerufene Emirat schwor dem selbsternannten „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue.
Gegenspieler Chalifa Belqasim Haftar Alferjani der faktische Machthaber
Sein Gegenspieler ist der faktischen Machthaber, aus dem Ostteil des Landes, Chalifa Haftar. Seit Mai 2014 ist er militärischer Befehlshaber der Libysch-nationalen Armee, die wiederum der in Tobruk residierenden libyschen Gegen-Regierung des sogenannten Abgeordnetenrates untersteht. Dieser Rat plus Chalifa Haftar kontrollieren den Großteil Libyens.
Weitere Interessenvertreter / Gruppen
Doch nicht nur der Krieg zwischen Ost und West bestimmt die Ereignisse im Land. Denn neue Bruchlinien sind zwischen weiteren politischen Kräften entstanden. Auf beiden genannten Seiten versuchen diese die Kontrolle zu übernehmen. Damit nicht genug. Denn auch ausländische Protagonisten spielen Rolle. Zum Beispiel haben die USA, Russland, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Saudi-Arabien, Italien und Frankreich sehr klare Vorstellungen. Selbstverständlich spielen dabei wirtschaftliche und geostrategische Interessen eine übergeordnete Rolle. Hauptsächlich geht es um Gas und Öl. Libyen hat die größten Erdölreserven Afrikas und reiche Erdgasvorkommen.
Und Deutschland?
Russen und Türken stabilisieren Libyen – Beständiges Friedensabkommen greifbar?
Sollte es den Russen, die an der Seite Chalifa Haftars und den Türken, die als Fayez al-Sarraj Unterstützer gesehen werden wirklich gelingen eine Gesamt-Libysche Regierung zu schaffen, bei deren Entstehung mitzuwirken, dann wird ein Teil der westlichen Welt wohl eher nicht jubeln. Denn eine dauerhafte Präsenz der Russen in der Region sehen nicht nur die US-Amerikaner mit Grausen. Aber teilten sich Russen und Türken auch noch den Einfluss in Libyen, dann sollte das bei vielen westlichen Interessenvertretern wirklich zu ernsthafter Schnappatmung führen.
Ein stabiles Libyen wäre allerding – abgesehen von seinen Rohestoffvorkommen eigentlich – durchaus auch im Interesse der EU und speziell Deutschlands.
Libyen gilt als ein Haupt-Transitland vieler afrikanischer Flüchtlinge und Migranten nach Europa. Hier spielen sich nicht nur in Auffanglagern Tragödien ab. Auch Schlepperkriminalität und das Sterben auf dem Meer sind in heutigem Umfang erst möglich geworden, nachdem der langjährige Herrscher Muammar al-Gaddafi 2011 gewaltsam von internationalen Kräften gestützt war.